Stellungnahme der AVM zum Referentenentwurf

Die Arbeitsgemeinschaft für Verhaltensmodifikation, ein Berufs- und Fachverband der ca. 1.400 VerhaltenstherapeutInnen (auch in Ausbildung) vertritt, nimmt den vom BMG vorgelegten Referentenentwurf  vom  3.1.2019 mit besonderen Interesse zur Kenntnis.  Nach 20 Jahren PsychThG stehen notwendige Veränderungen an. Der vorliegende Referentenentwurf ist aus unserer Sicht in einigen Bereichen besonders gut geeignet die bekannten Probleme zu lösen. Viele Punkte bedürfen jedoch einer deutlichen Präzisierung und/oder Veränderung. Einige Regelungen bzw. Nichtregelungen stellen für sich gesehen eine neue Problemgenerierung dar.

 

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Wir unterstützen und  begrüßen  die

  • Erweiterung der Legaldefinition Psychotherapie,
  • Festlegung auf die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/Psychotherapeutin“,
  • Anerkennung eines psychotherapeutischen Versorgungsbedarfs mit Nennung von jährlich 2.300 -  2.500 StudiumabsolventInnen in Zusammenhang mit der Verantwortungsübernahme des Gesetzgebers für den Bereich der Weiterbildung:  „ (…) dass all diejenigen die eine solche Weiterbildung anstreben (…) eine Möglichkeit erhalten diese Weiterbildung abzuleisten (Referentenentwurf S. 58)“,
  • Übernahme des §117 SGB V hinsichtlich der bedarfsunabhängigen Überführung der heutigen Ausbildungsambulanzen in Weiterbildungsambulanzen,
  • Anpassung des §92 SGB V  (Aufhebung der „doppelten Verfahrensprüfung“ hinsichtlich Berufs- und Sozialrecht),
  • Implementierung von Modellversuchsstudiengängen (§26 Referentenentwurf 3.1.2019),
  • im Prinzip erkannte Unterfinanzierung der zukünftigen Aus- und Weiterbildung.

Im Folgenden wird auf die einzelnen Bestimmungen eingegangen.

 

 

§ 1  Berufsbezeichnung/Berufsausübung/Legaldefinition

Die AVM begrüßt und unterstützt die überfällige Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/Psychotherapeutin“.  Die bisherigen Berufe „Psychologischer Psychotherapeut/in“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in“ gehen nun in einer eineindeutigen Berufsbezeichnung auf.

Hinsichtlich der Berufsausübung ist festzuhalten, dass eine Heilkundeerlaubnis für akademische Heilberufe die Möglichkeit schaffen muss, die wissenschaftlichen psychotherapeutischen Verfahren und Prozesse immer auf den neuesten fachlichen Stand zu halten. Dies schließt selbstredend Heilversuche und zügige Übernahme wissenschaftlich begründeter therapeutischer Weiterentwicklungen ein.

Die vorgeschlagenen Änderungen der Heilkundeerlaubnis (§1 Abs. 2 Satz 1) schaffen schwerwiegende Probleme. „Psychotherapeutische Therapieformen“ anstelle „psychotherapeutischer Verfahren“ müssen neu interpretiert werden. An keiner Stelle wird klar, welche Interpretationen zur Geltung kommen sollen. Wir sehen das Problem, dass bei noch fehlendem Verfahrensbezug nach einem künftigen Approbationsstudium die Verwendung des Begriffs „Therapieverfahren“ problematisch ist. Wir sehen das Problem durch die Einführung eines nicht näher bestimmten neuen Begriffs „Therapieformen“  jedoch als nicht gelöst an.

Die Weiterführung bestimmter Passagen aus dem bisherigen PsychThG sind nicht zielführend. §1 Absatz 1 Absatz 2 Satz ist zu streichen. Tätigkeiten außerhalb der Heilkunde sind – da außerhalb der Heilkunde – grundsätzlich nicht Bestandteil der Heilkunde.  Die explizite Nennung ist daher aus unserer Sicht redundant und sollte gestrichen werden.

Im Übrigen soll eine Neufassung der Legaldefinition den PsychotherapeutInnen die Verwendung von Verfahren und Methoden ermöglichen, wie sie auch in der Heilkundeerlaubnis bei anderen akademischen Heilberufen geregelt sind.

Der vorliegende Vorschlag des BMG unterscheidet nicht zwischen der Diagnostik (also Feststellung ob eine psychische Störung vorliegt) und der Feststellung, dass eine Psychotherapie indiziert ist. Von daher ist der abschließende Satz: „(…) Psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung oder Überwindung sozialer Konflikte (…) gehören nicht zur Ausübung von Psychotherapie“ zu streichen.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass Psychotherapie kein Gewerbe ist, also eine „(…) gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung von psychischen (…)“ nicht vorliegt. Es liegt  allein eine „berufsmäßig vorgenommene Tätigkeit“ vor. Der Bezug auf ein Gewerbe ist zu streichen.

Eine Forderung nach somatischer Abklärung  ist aus unserer Sicht überholt. Ein Konsiliarbericht ist obsolet.

 

§ 7 Ziel des Studiums, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als  Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist.

Die AVM begrüßt ausdrücklich die in §7 Abs. 3 Satz 5 vom BMG eingebrachte Befugniserweiterung hinsichtlich der Beurteilung von Arbeits-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.

Die Mitwirkung von PsychotherapeutInnen bei der Behandlung somatischer Erkrankung sollte ebenfalls zu den künftigen Befugnissen gezählt werden. So sind schon heute PsychotherapeutInnen bei z.B. Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, neurologischen  und onkologischen Erkrankungen häufig an den Behandlungen beteiligt. Dies sollte sich auch bezüglich von Befugniserweiterungen in den Regelungen des §7 niederschlagen.

 

§ 9 Dauer, Struktur und Durchführung des Studiums

Der Referentenentwurf bleibt leider hinter der Forderung der meisten Verbände und Kammern  zurück, die einen deutlich höheren Praxisbezug im Rahmen des Studiums fordern, um eine Approbation vor dem Hintergrund des Patientenschutzes zu gewährleisten.  Die AVM sieht hier ein an das fünfjährige Studium anschließendes Praxissemester als unverzichtbar an (11.Semester). Nur ein längerdauerndes, zusammenhängendes Praktikum eröffnet die Möglichkeit Verläufe in der Krankenbehandlung zu beobachten und zu verstehen. Die Forderung nach einem eigenständigen Praxissemester ist insbesondere vor dem Hintergrund zu fordern, als im Rahmen des zweijährigen Masterstudiums nahezu ein komplettes Semester für die Erstellung einer Masterarbeit veranschlagt werden muss. Darüber hinaus ist die Einbeziehung von Forschungs- und Grundlagenpraktika der Psychologie im Rahmen des fünfjährigen Studiums nicht geeignet, das notwendige praktische psychotherapeutische Anwendungswissen zu erlangen. Diese nicht psychotherapeutischen Praktika sind  aus unserer Sicht, im Sinne des Patientenschutzes, nicht zur Anrechnung als psychotherapeutisches Praktikum zu bringen.

Kritisch sehen wir die Einengung der Ansiedlung des Studiums allein auf Universitäten und gleichgestellte Hochschulen. Der Großteil heutiger Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen hat ein grundständiges Studium an Hochschulen für angewandte Wissenschaften absolviert. Eine geplante Einengung birgt hier aus unserer Sicht die Gefahr des Verlustes pädagogischer und sozialpädagogischer Kompetenzen. Neben einer prinzipiellen Verankerung dieser Inhalte in einem künftigem Studium, die über das vorgeschlagene Maß hinaus geht, fordert die AVM, dass auch Hochschulen für angewandte Wissenschaften, so Sie selbst oder über Kooperationen inhaltlich die gestellten Forderungen erfüllen, entsprechende Studiengänge anbieten können. Dies würde auch den heute bestehenden breiten Zugang zum Beruf erleichtern bzw. erhalten.

 

Im vorgelegten Entwurf wird auf die Verankerung der vier Grundorientierungen der Psychotherapie verzichtet. Diese bilden jedoch die Versorgungsvielfalt heutiger Psychotherapie ab und müssen daher in einem künftigen Studium grundständig verankert werden (wir verweisen auf die Beschlüsse des 25. deutschen Psychotherapeutentags) . Die Forschung und Lehre der verschiedenen Verfahren ist dabei durch im jeweiligen Verfahren approbiertes Fachpersonal sicherzustellen. Hier ist eine entsprechende Ergänzung im Gesetzesentwurf vorzusehen.

Prinzipiell heißen wir die Einrichtung eines polyvalenten Bachelors für gut. Es darf jedoch aus unserer Sicht in einem künftigen anschließenden Masterstudium nicht zu einem „Flaschenhals“  beim Übergang für diejenigen Studierenden kommen, welche von vorneherein das Ziel haben eine Approbation als PsychotherapeutIn zu erlangen.  In Anlehnung an andere Staatsexamensstudiengänge, wie Jura oder Lehramt, muss gewährleistet sein, dass das neu konzipierte Studium ohne formale Behinderungen in Gänze studierbar ist. Da der polyvalente BA dem heutigen BA in Psychologie weitgehend entspricht, sollte zudem geprüft  werden, ob nach dem polyvalenten BA eine erste einheitliche staatliche Prüfung vorzusehen ist, die einen bundeseinheitlichen Standard für das praxisorientierte MA-Studium gewährleistet.

 

§ 26 Modellversuchsstudiengänge

Wir bedauern, dass der § 26 häufig als „Psychopharmakaverschreibungsparagraph“  mißverstanden wird. Nach 20 Jahren PsychThG bisheriger Provenienz fehlt die Möglichkeit wissenschaftlich gesicherte psychotherapeutische Modellvorhaben in die Ausbildung – gerade versuchsweise – zu integrieren.  Verhaltenstherapie und viele andere psychotherapeutische Verfahren  haben in den letzten 20 Jahren eine erfolgreiche – teils stürmische  - Weiterentwicklung erfahren. Es muss möglich sein, dass in Zukunft solche Entwicklungen  versuchsweise bzw. modellhaft in die Ausbildung integriert werden können, ohne das bestehende Gesetz dazu ändern zu müssen.

 

§ 27 ff. Übergangsregelungen

Mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes werden heutige Psychologische PsychotherapeutInnen und Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen die gleichen Rechte und Pflichten wie künftige PsychotherapeutInnen erhalten. Dies ist sehr zu begrüßen. Für heutige Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen eröffnet diese den Weg über Weiterbildungen auch Erwachsene zu behandeln. Dies ist umso mehr wichtig, da aus unserer Sicht die Kompetenz Kinder und Jugendliche zu behandeln unbedingt mit der Behandlungskompetenz Erwachsener (z.B. Eltern) verbunden sein muss.

Die Dauer der Übergangsregelung in Höhe von  12 Jahren ist deutlich  zu kurz gewählt. Sie setzt voraus, dass

1.  mit Verabschiedung des Gesetzes eine nennenswerte Zahl von Hochschulen den neuen Studiengang bereits akkreditiert hat und auch anbietet,

2. das Studium und die anschließende Weiterbildung nahezu „ungestört“ von z.B. nur bei Verzicht auf Familienplanung, ausbleibende (längerer/chronischer) Erkrankungen  und dem störungsfreien Finden geeigneter Weiterbildungsplätze in Kliniken abläuft

Wir halten beides nicht für realistisch.  Wir fordern die Übergangsregelung auf mindestens 15 Jahre zu erweitern, und Härtefallregelungen  über diese Zeit hinaus  festzuschreiben.

Während der kommenden Übergangszeit werden weitere tausende künftige PsychotherapeutInnen unter der Nicht-Finanzierung der heutigen Ausbildung leiden. Dieser schwere Missstand war einer der zentralen Ausgangspunkte (siehe auch Forschungsgutachten des BMG 2009) für eine Novellierung des bestehenden Gesetzes. Es muss eine Regelung geschaffen werden, die keine parallele heutige Ausbildung und künftige Weiterbildung generiert, in der die PsychotherapeutInnen in Ausbildung gegenüber den künftigen PsychotherapeutInnen in Weiterbildung benachteiligt werden. Eine Finanzierung der praktischen Tätigkeit im Verlauf der gegenwärtigen Ausbildung ist für PP und KJP AusbildungsteilnehmerInnen festzuschreiben.

 

§ 95c SGB V

Aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen wird eine sozialgesetzlich festgeschriebene Vorwegnahme der Weiterbildungsgebiete ausschließlich auf Kinder und Jugendliche bzw. Erwachsene vorgenommen. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund einer im ärztlichen Bereich nicht in gleicher Weise verankerten Vorwegnahme verwunderlich, sondern verhindert künftige Weiterentwicklungen der Profession. Eine derartige festlegende Vorwegnahme ist abzulehnen. Vielmehr ist eine allgemeine Formulierung wie im entsprechenden ärztlichen Teil §95a SGB V vorzusehen.

 

§117 SGB V

Die Zulassung der bisherigen Ausbildungsambulanzen als künftige Stätten ambulanter Weiterbildung ist zu begrüßen, greift aber zu kurz. Es ist positiv, dass bestehende Ambulanzen beim Übergang in das Weiterbildungssystem Bestandsschutz genießen und weiterhin bedarfsunabhängig zugelassen werden sollen.  Die bedarfsabhängige Zulassung von neuen Ambulanzen nach Inkrafttreten des Gesetzes ist ein nicht hinnehmbares Erschwernis z.B.  für die Errichtung von Ambulanzen in neu zugelassenen Therapieverfahren. Im Übrigen verzerrt schon heute die Bedarfsplanung den wahren Bedarf an Psychotherapie. Wenn Einschränkungen für Weiterbildungsambulanzen überhaupt politisch wünschenswert sind, müssen sie sich an der Morbidität der Bevölkerung orientieren. Abschließend bleibt im Referentenentwurf ungeklärt auf was sich der „Bedarf“ bezieht (Verfahrensvielfalt, Patientenversorgung etc.) Bedauerlicherweise verzichtet der Referentenentwurf darauf die besondere Ergebnis- und Strukturqualität der bisherigen Ausbildung vollständig in die Weiterbildung zu überführen. Zurecht erkennt das BMG in der Einleitung des Entwurfs: „dass sich die Schaffung der eigenständigen Heilberufe der PP und KJP sowie die Einbindung in das System der Kassenärztlichen Versorgung der Patienten und Patientinnen bewährt hat“.

Dieser Erfolg beruht nicht zuletzt aus der derzeit gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildung aus „einer Hand“.  Die Fortführung dieses erfolgreichen Prinzips- insbesondere im Sinne des Patientenschutzes - ist auch für die zukünftige Weiterbildung vorzusehen.

 

Finanzierung der Novellierung

Der Referentenentwurf geht von einem nicht unerheblichen finanziellen Mehrbedarf bei der Umstellung zur neuen Ausbildung aus. Auch für den Bereich Weiterbildung wird ein besonderer Finanzierungsbedarf erkannt.

Unter Berücksichtigung der Verfahrensvielfalt und der geforderten Einbindung von approbierten Ausbildern gerade in der Ausbildung (Hochschulen) ist von einem erheblich höheren Mehraufwand auszugehen. Dies gilt in besonderem Maß auch für die Weiterbildung. Die Berücksichtigung schon existierender Gutachten (z.B EsFoMed, DKI) ist zu fordern ggfs. auch  eine Einholung weiterer Expertisen. 

 

Dipl.-Psych. Rainer Knappe

1. Vorsitzender AVM e.V.